Als Thomas Newcomen 1712 die erste einsatzfähige Kolbendampfmaschine erfand und James Watt 1769 ein Patent auf seine verbesserte Dampfmaschine erhielt, war alle Welt überrascht über die Möglichkeit, aus Wärme Bewegung zu erzeugen. Der Begriff der Energie war noch nicht richtig präzisiert.
Die Technikgeschichte lehrt uns, dass die Entwicklung der theoretischen Grundlagen der Thermodynamik und damit eines einheitlichen Energiebegriffs mit dem zunehmenden Einsatz von „Kraftmaschinen“ Hand in Hand ging. Nun wurde es technisch möglich (und im Nachhinein auch theoretisch verstehbar), Energieformen im großen Stil ineinander umzuwandeln.
Die Dampfmaschine war nicht der einzige Faktor, der zur Industrialisierung in England führte. Es spielte die zunehmende Bildung von Kapital in der englischen Wirtschaft ebenfalls eine Rolle, das Vorkommen von genügend Rohstoffen und ein ausreichendes Angebot an Arbeitskräften, das sich aus der wirtschaftlichen Situation der Kleinbauern speiste. Besondere politische Bedingungen für die Kolonialmacht England wie die Erschließung neuer Absatzmärkte durch imperiale Politik ließen steigende Nachfragen z. B. nach Textilprodukten entstehen. Die Motorisierung der Landwirtschaft und Industrie bis hin zum Auto war wiederum einer der Faktoren, die umgekehrt die bekannten wirtschaftlichen, arbeitsorganisatorischen, kulturellen wie auch politischen Folgen der industriellen Revolution erzeugten.
In dieser Analyse wird meist ein kleines Detail übersehen. James Watt hatte 1788 in seine weiterentwickelte Dampfmaschine einen Fliehkraftregler eingebaut, der die Arbeitsgeschwindigkeit der Maschine konstant halten konnte. Dies kann man als Beginn der Automatisierung ansehen, denn diese mechanische Regelung gestattete einen regelmäßigen Betrieb der Maschine. Sie entkoppelte im Prinzip die Laufzeit der mechanischen Maschine von der Bedienzeit und sie ersetzte die menschliche Überwachung des Maschinenbetriebs – zumindest teilweise – durch das Einhalten eines vorher festgelegten Sollwerts.
Man darf sich nicht täuschen lassen: Dieser Regler war bereits eine kleine informationsverarbeitende Maschine – allerdings analog und auf mechanischer Basis.
Später wurden Regelungen durch elektrische Schaltkreise, dann durch elektronische Schaltungen realisiert. Analoge Signalverarbeitung und digitale Computertechnik wuchsen zusammen. Nach den mechanischen Rechnern folgten die programmierbaren Maschinen.
Diese Programme basieren auf bestimmte Algorithmen, die ihrerseits auf einem mathematischen Modell des zu kontrollierenden Prozesses aufbauen. Am Prinzip der Regelung hat sich seither nichts geändert, an deren technischer Realisierung schon. Und es hat sich weiterhin geändert, dass wir nun auch organisatorische sowie technische Prozessabläufe zusammen bis hin zu Wertschöpfungsketten in diesem Sinne steuern und regeln.
Der angestrebte vorläufige Höhepunkt an Komplexität dürfte die intelligente, modellbasierte Selbst-Steuerung solcher Prozesse sein, die bei der Produktion von der Konstruktion bis hin zu Entsorgung reichen, die Kommunikation und Dienstleistungen ermöglichen und unsere Energieversorgung im Ausgleich zwischen volatilem Angebot aus erneuerbaren Energien und Bedarf der Nutzer ausgleichen sollen.
Autonome Systeme
Heute sprechen wir von autonome Systemen – gemeint sind hochgradig automatisierte Gebilde, seien es Roboter, Industrieanlagen, selbstfahrende Autos, vernetzte Haushaltsgeräte und gar autonome Waffensysteme, die im Prinzip von hochkomplexen, miteinander vermaschten Rechnernetzen gesteuert werden. Diese fungieren streng genommen immer noch als Regler. Dabei ermitteln sich diese Systeme, theoretisch gesprochen, ihre „Sollwerte“ aus der Messung der Vergangenheit selbst. Sie lernen aus Erfahrungen, sprich aus der mathematischen Analyse ihrer Daten, die aus Messungen entstehen, die man auch ein Protokoll ihrer Systemgeschichte nennen könnte. Dies ist nun keine Entwicklung mehr, die man lediglich als kontinuierliche Steigerung der Leistungsfähigkeit bisheriger Technologien ansehen könnte. Wir könnten vielmehr von der Automatisierung der Automatisierung sprechen.
Die Digitalisierung bleibt nicht auf Technik beschränkt
Technische Veränderungen verändern unsere Organisationsformen und die Weise unseres Wirtschaftens. Umgekehrt bestimmen die Strukturen unserer gesellschaftlichen, rechtlichen und ökonomischen Strukturen die technologischen Entwicklungen zu einem gewissen Grade mit.
So steuern wird schon heute umfangreiche Sektoren unseres gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftichen Lebens mit Algorithmen. Diese Algorithmen, selbst wenn sie lernfähig sein sollten und ihre Sollwerte und Ziele aus der Analyse von Daten aus vorherigen Prozessen bestimmen, sind von Menschen geschrieben. Und ihre Lernfähigkeit ist gewollt. Sie sollen uns entlasten, uns die routinemäßigen Prozeduren abnehmen, und die Autoren der Algorithmen vertrauen darauf, dass die Richtung, in der Algorithmen lernen, in dem von ihnen gesetzten Rahmen bleibt.
Dahinter stecken also Modellvorstellungen der Prozesse, die mit diesen Algorithmen gesteuert werden sollen. Dazu gehören zum Beispiel auch Geschäftsmodelle. Man kann sogar so weit gehen, dass diese Algorithmen letztlich Ausdruck von Theorien über wirtschaftliche und organisatorische Prozesse sind, so wie die technischen Algorithmen die Theorien über technische Funktionalität beinhalten müssen, wenn sie funktionieren sollen. Damit bestimmen diese Theorien die tatsächlichen Abläufe und unserer Lebensvollzüge zu einem großen Umfang. Theorien haben aber immer nur beschränkte Reichweiten.
Somit stellen sich zwei Fragen, nämlich die der Revidierbarkeit solcher Systeme und der Partizipation bei ihrer Entwicklung. Denn es geht nicht mehr um die Frage, ob autonome Systeme in diesem Sinne über kurz oder lang machbar sind, sondern darum, ob und wenn ja, welche Systeme wir wollen, wie autonom sie sein sollen und welche Vorstellungen über Funktion und Gebrauch wir davon entwickeln können. Damit ergibt sich ein Gestaltungsauftrag.
Mit Angst vor der Revolution kann man diese freilich nicht gestalten. Und mit Kampfbegriffen, die innerbetrieblich alles mit 4.0 bezeichnen, wohl auch nicht.
Besser scheint folgende Annahme zu sein: Bei der Digitalisierung haben wir als Gesellschaft einen ungeheuren Gestaltungsspielraum. Gerade wegen der Freiheitsgrade kann man getrost vieles ausprobieren, aber man sollte, wie in der Wissenschaft, zumindest prinzipiell rücknehmbar gestalten, gerade weil man, wenn man Algorithmen schreibt, fast beliebige Funktionalitäten designen kann.
So wie die Wissenschaft immer nur der Stand des neuesten Irrtums ist, also revisionsfähig sein muss, so ist Technik und damit auch die algorithmische Regelung organisatorischer Prozesse immer nur der Stand der neuesten Fehlkonstruktion. Deshalb brauchen wir eine kluge Mischung aus neuem Mut und echter Bescheidenheit, wenn wir an die schwierige Aufgabe gehen, die digitale Transformation, die auch eine Transformation der Gesellschaft sein wird, zu gestalten.
Neben der Forderung der Reversibilität der Gestaltung von Technik kommt der Wunsch nach Partizipation, also Mitgestaltung. Viele Köche verderben den Brei, weshalb Partizipation Kompetenz braucht. Selbstverständlich muss bei hochtechnischen Systemlösungen bis hin zu Komponenten der Geschäftspartner mitbestimmen können, welche Funktionalität gewünscht wird. Eine solche Partizipation ist in solchen Fällen unabdingbarer Bestandteil des Geschäftsmodells.
Seit geraumer Zeit versucht man, mit Hilfe von allerlei Formaten wie Living Labs, partizipativen Design-Workshops, Seminaren, Plattformen, Diskussionen auf Foren, und Projekten, bei denen ein Einüben von bestimmten, z. B. nachhaltigen Verhaltensweisen anhand bestimmter Produkte oder Akzeptanz für bestimmte Lösungen angestrebt wird, den vermuteten Kunden in die Diskussion über gewünschten Funktionalitäten eines Produkts einzubinden. Eine echte Mit-Entwicklung ist das nicht und kann es aus Kompetenzgründen auch gar nicht sein.
Trotzdem erlauben diese Formate – auch wenn sie noch nicht so weit entwickelt sind, wie man es das wünschen könnte, eine Kommunikation über Ergebnisse, Tipps für Verhaltensänderungen, Kommunikation mit dem Hersteller aus Expertensicht und Nutzersicht.
Einbeziehung und Kommunikation auf allen nur denkbaren Ebenen – allen voran zwischen Partnern, Kunden, Mitarbeitern – schafft also das Gefühl von Teilhabe. Dieses Gefühl wird umso wichtiger werden, je komplexer die Technologien werden, die unsere Lebenswelt bestimmen. Auch so verstanden, gibt es keine Alternative zu einer aktiven Gestaltung der digitalen Transformation. Sie ist beides: Revolution und Gestaltungsauftrag zugleich.
Dieser Text ist ein gekürzter Auszug des Essays von Klaus Kornwachs, der vollständig im TRUMPF Geschäftsbericht 2016/17 unter dem Titel „Digitale Transformation – Revolution oder Gestaltungsauftrag?“ erschien.