Der bärtige Physiklehrer malt einen Lichtstrahl an die Tafel, der auf einen Spiegel fällt: "Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel". In der Oberstufe erfuhren wir dann, dass die Sache mit dem Licht deutlich komplizierter ist. Doch der Lasermaterialbearbeitung reichte über Jahrzehnte das optische Denken der siebten Schulklasse: Licht ist ein Strahl; ein Fokus ist ein Punkt, an dem sich Strahlen kreuzen. Das war gar nicht schlimm. In den meisten Anwendungsfällen und beim Auslegen von Optiken liefert die sogenannte Strahlenoptik ausreichende Informationen: bei geradliniger Ausbreitung von Licht in einem Medium, bei Reflexion, Brechung, Schattenwurf - und beim Lichtweg in optischen Geräten, wie etwa Fokussieroptiken. Wenn es lediglich darum geht, die Energie des Lichts auf einen Fleck zu konzentrieren, ist die Strahlenoptik ein taugliches Modell.
Wir überschreiten die Grenze
Mit Licht kann man aber viel mehr machen. Es lohnt sich, ein paar Schritte weiter zu gehen. Schon bei etablierten Laserbearbeitungsprozessen wie beispielsweise dem Schneiden von Stahl mit klassischen Optiken geht es oft darum, den Fokus zu optimieren. Das heißt nichts anderes, als anzuerkennen, dass der Fokus eben kein Fleck ist, sondern eine räumliche Verteilung von Intensitäten. Um diese Intensitätsverteilungen berechnen und optimieren zu können, müssen wir das Licht als Welle betrachten und betreten damit das Reich der Wellenoptik. Und hier ist ein Fokus kein Fleck, sondern eine Intensitätsverteilung mit Ausdehnungen in x-, y- und z-Richtung. Damit erhält der Fokus auch viel mehr Informationen - und das Entscheidende: Er wird endlich manipulierbar. Und wie.
Tausendfache Effizienz
Wir können den Fokus durch gezielte Aberration des Laserstrahls den jeweiligen Bedürfnissen der Anwendung anpassen. Für das sogenannte Glastrennen ziehen wir den Fokus in Propagationsrichtung in die Länge, um die Struktur des Werkstoffs im gesamten Volumen des Glases auf einmal zu verändern. Eine weitere Möglichkeit ist es, Licht mittels sogenannter diffraktiver optischer Elemente (DOEs) zu beschleunigen. Im Ergebnis macht der Fokus eine Kurve in einem bestimmten Winkel und sieht dann zum Beispiel wie der Buchstabe C aus. Mit diesen C-Shape-Fokussen lässt sich dann etwa Displayglas bereits mit gewölbten Kanten trennen - ohne Nachbearbeitung. Andere DOEs spalten den Fokus und verteilen ihn in einem gegebenen Volumen frei im Raum. In der TRUMPF Vorausentwicklung haben wir einen Laserstrahl schon in 133 Fokusse gespalten und sie in unterschiedlicher Form frei in einem Volumen von einem Kubikmillimeter verteilt. Damit erreichen wir in der Mikrobearbeitung völlig neue Möglichkeiten und Effizienzen.
Verteilungen in einem anderen Volumen und mit einer bis in die Hunderttausende gehenden Fokusanzahl sind auf dieser Basis ohne Weiteres vorstellbar. Für die Metallbearbeitung etwa bieten sich Rechteckfunktionen (Flat-Top-Verteilung) an, die über eine bestimmte Breite eine homogene Intensität erzeugen - außerhalb des Rechtecks ist die Intensität dann einfach null. Statt nun Oberflächenstrukturen Puls für Puls einzubringen, kann ein Fokus mit Flat-Top-Verteilung das Material mit nur einem Schuss abtragen. Die Effizienzgewinne sind enorm: Je nach Ausganglaser kann man ohne Leistungsverlust pro Fokus den Strahl in 50 bis 1.000 Fokusse diffraktiv aufteilen - der Bearbeitungsdurchsatz erhöht sich dementsprechend um den Faktor 50 beziehungsweise 1.000.
Hoher Rechenaufwand
Die Wellenoptik bietet also viele neue Möglichkeiten. Aber es reicht nicht, einfach nur umzudenken. Es ist harte Arbeit. Denn wer von der Strahlenoptik auf die Wellenoptik umsteigt, lässt damit ein mathematisch einfaches Modell hinter sich und wechselt zu einem vielfach komplexeren. Diese Umstellung betrifft sowohl die mathematische Modellbildung als auch die rechnerische Simulation und die Analyse der Laborergebnisse. Auf all diesen Gebieten haben wir bei der TRUMPF Vorausentwicklung Pionierarbeit geleistet und beschreiben das Licht wellenoptisch auf seinem kompletten Weg von der Strahlquelle bis zum Werkstück. Dazu modellieren wir auch die Kohärenz der Lichtwellen ab der Lichtquelle und berücksichtigen beispielsweise die Resonator-Moden, um die Feldverteilung innerhalb der Fokussieroptiken zu kennen. Eine Milliarde Informationen pro Laserstrahl innerhalb einer solchen vierdimensionalen Matrize (drei Raumdimensionen und eine Zeitdimension) sind nicht ungewöhnlich. Der Rechen- und Simulationsaufwand ist entsprechend hoch. Hinzu kommt, dass das wellenoptische Modell für jeden Laser anders aussieht: cw, Kurzpuls, Scheibe oder Faser zum Beispiel unterscheiden sich wellenoptisch gesehen stark voneinander.
Dr. Daniel Flamm arbeitet in der TRUMPF Vorausentwicklung. Diese Gruppe junger Wissenschaftler befasst sich mit grundlegenden Fragen der Laseroptik und erforscht derzeit unter anderem die Potenziale der Wellenoptik für die Lasermaterialbearbeitung.
Tor zu einer neuen Welt
Mit der Wellenoptik stoßen wir gerade das Tor zu einer neuen Welt der Lasermaterialbearbeitung auf. In den kommenden Jahren werden wir mit Applikationen operieren und Effizienzgewinne erzielen, die für Anwender der Strahlenoptik wie Hexerei erscheinen. Und doch ist schon jetzt die nächste Schwelle sichtbar. Wenn die Strahlenoptik die Krücke ist, die Wellenoptik der Laufschuh, ist vielleicht in 30 Jahren die quantenelektrodynamische (QED) Optik der Rennwagen. Im Moment allerdings ist die QED-Optik für makroskopische Anwendungen schwer zu berechnen und liefert noch viel zu viele Informationen, die wir für die Optikauslegung überhaupt nicht nutzen können. Aber das war bei der Wellenoptik bis vor Kurzem auch noch so.