Sicherheit hat in der Luft- und Raumfahrt höchste Priorität. Um die Kosten für teures Material und das Gewicht der Teile zu reduzieren, sucht die Branche zwar nach neuen Fertigungsmöglichkeiten, aber bis sie zum Einsatz kommen, vergeht viel Zeit. Ausgerechnet dieser Zweig der Hochtechnologieindustrie steht auch der Zukunftstechnologie 3D-Druck skeptisch gegenüber. Da hilft nur beharrliche Überzeugungsarbeit. Die leistet der spanische Zulieferer RAMEM, der sich auf die Auslegung und Fertigung von mechanischen und elektromechanischen Geräten spezialisiert hat. Unter anderem stellt das Unternehmen mit Sitz in Madrid Teile mit komplexen Geometrien und anspruchsvollen technischen Anforderungen für die Luft- und Raumfahrttechnik her. R&D Manager Silvia López-Vidal erklärt: „Wir fertigen in diesem Bereich viele kleine Serien und beschäftigen uns daher schon lange mit Additive Manufacturing (AM). Bei den Themen Gewichtsreduktion, Reduzierung von Unterbaugruppen und Kostenersparnis bietet AM viel mehr Möglichkeiten als konventionelle Verfahren.“
Ready for Takeoff
Neben dem Wissen um das Potential der Technologie treiben RAMEM vor allem strategische Überlegungen an. López-Vidal: „Irgendwann wird AM auch in der Luft- und Raumfahrtbranche den Sprung in die industrialisierte Fertigung schaffen. Darauf bereiten wir uns jetzt schon vor, indem wir uns das nötige Know-how frühzeitig aneignen.“
Daher halten die Ingenieure bei RAMEM die Augen offen und analysieren kontinuierlich alle produzierten Teile, um zu ermitteln, ob ihre Fertigung mithilfe von AM einen Mehrwert verspricht. Ein sehr vielversprechendes Teil sind die sogenannten Rakes. Sie werden in der Triebwerksentwicklung zur hochgenauen Vermessung von Druck und Temperatur verwendet, um die Leistung des Antriebs zu ermitteln. Die Anforderungen an Rakes sind hoch: Sie sind direkt im Strömungskanal der Antriebe angebracht und extremen Temperaturen sowie hohen Spannungen und Drücken ausgesetzt. Die exakte Maßhaltigkeit des hochkomplexen Bauteils sowie eine glatte, aerodynamische Oberfläche sind von entscheidender Bedeutung für ein präzises Messergebnis.
Ein heikles Teil mit hohen Anforderungen
Rakes bestehen aus vier Komponenten, die aufwendig gefräst, manuell zusammengefügt und schließlich einzeln verschweißt werden. Herzstück sind mehrere innenliegende Röhrchen, die als Kanäle dienen. Sie werden von hinten in den länglichen Baukörper des Rakes eingeführt und dort mit Probeentnahmestellen verschweißt. Diese sogenannten Kiel Heads haben eine Wandstärke von <0,3 Millimeter. Danach wird der Baukörper mit einer Platte verschlossen. López: „Das Einführen der filigranen Kanäle erfordert höchste Präzision. Ist nur ein einziger Kiel Head nicht korrekt platziert, ist das Rake Ausschuss. Die Kiel Heads haben Maßtoleranzen von +/- 0,05 Millimeter und sind an ihrem Ende mit einer kleinen, durchgehenden Öffnung versehen, in denen die Strömungssensoren verbaut sind.“
Für die Ingenieure bei RAMEM war klar, dass die filigranen Rakes geradezu prädestiniert für den 3D-Druck sind. Wichtig war, ihre Konstruktion AM-konform anzupassen. Das übernahm das auf das Redesign von Teilen für die Additive Fertigung spezialisierte Unternehmen Prodintec. Es gelang, die Anzahl der Bauteile von vier auf eines zu reduzieren. Trotzdem war das Ergebnis enttäuschend, erklärt López-Vidal: „Die Rakes verformten sich bei der Fertigung und in den dünnen Kanälen setzten sich beim Druck Pulver und andere Feststoffe ab. Außerdem konnten wir mit 3D-Druck weder die Anforderungen an die Maßgenauigkeit noch an die porenfreie glatte Oberfläche der Rakes erfüllen.“
Der erste Prototyp bringt den Durchbruch
Aber Silvia López-Vidal und ihr Team ließen sich von diesem Rückschlag nicht entmutigen. Auf der FORMNEXT 2017 kamen sie mit Julia Moll, Projektleiterin Additive Manufacturing bei TRUMPF, und ihrem Team ins Gespräch und schilderten ihre Probleme. López-Vidal: „Die TRUMPF Entwickler haben uns versichert, dass sie mit ihren Lasern und ihrem Pulver unsere Probleme in den Griff bekommen können.“ Mithilfe der von Prodintec angefertigten CAD-Zeichnung machten sie sich an die Arbeit, um den Beweis zu erbringen.
Julia Moll: „Die größte Herausforderung beim Druck war die Bauteilorientierung. Wir mussten das Bauteil so ausrichten, dass wir ohne Stützstrukturen auskommen. Diese hätten wir an den hochsensiblen Kiel Heads oder im Bauteilinneren nicht anbringen können. Außerdem mussten darauf achten, dass keine thermischen Verzüge entstehen. Auch das war nicht einfach, weil die Rakes eine sehr geringe Wandstärke aufweisen.“ Gedruckt wurde auf einer TruPrint 1000. Der 3D-Drucker verfügt über einen Laser mit einer Leistung von 200 Watt, mit dem sich feinste Strukturen aus dem Pulverbett aufbauen lassen.
Schon der erste Prototyp des Rakes überzeugte, erklärt Moll: „Mithilfe eines 3D-Scans konnten wir die geforderte geometrische Genauigkeit nachweisen und anhand von Schliffbildern ermittelten wir eine Oberflächendichte von 99,95 Prozent.“ Aber die Experten wollten es noch genauer wissen. Der Entwickler und Produzent von Röntgen- und Computertomographie-Prüfsystemen YXLON unterzog den Prototyp einem CT-Scan. Geprüft wurden die komplette Durchgängigkeit der Kanäle und die Größe der Poren. Außerdem haben die Experten über 40 Maße im Inneren des Bauteils automatisch ermittelt und überprüft. Und auch dieses Ergebnis war positiv: Die Kanäle waren durchgängig und die geforderte Porengröße von unter 100 Mikrometern sowie die erforderliche Maßhaltigkeit wurde auf Anhieb erreicht.
Knapp 80 Prozent Kostenersparnis
Die Entwicklungsaufgabe haben die Experten perfekt gemeistert und Julia Moll ist hochzufrieden: „Durch das Redesign des Bauteils haben wir geringere Durchlaufzeiten und benötigen rund 80 Prozent weniger Material. Rechnet man alles zusammen, bringt uns der 3D-Druck des Rakes eine Gesamtkostenersparnis von rund 74 Prozent. Das ist in der Branche durchaus eine Hausnummer.“ Jetzt beginnt der Praxispart und hier zeigt sich Silvia López-Vidal optimistisch: „Es gilt, am Thema dran zu bleiben und die Entscheider kontinuierlich über die Möglichkeiten additiver Fertigungsverfahren zu informieren. Dass die Potentiale enorm sind, haben wir am Beispiel Rakes wieder einmal bewiesen. Aber die Luftfahrtbranche ist ein sensibler Markt und es wird noch eine Weile dauern, bis wir unsere Kunden überzeugt haben, additive Fertigung für Strukturteile und andere wichtige Baugruppen einzusetzen. Die Tatsache, dass wir und auch andere große Zulieferer das strategische Wissen um AM kontinuierlich ausbauen, zeigt aber, dass wir an den Erfolg der Technologie glauben.“